Montag, 21. September 2015

Im Herzen von Pachamama

Bald beginnt das 2. Kapitel meiner großen Reise. Das Leben nach der Schule.

Eigentlich war ich in den letzten Wochen, Monaten, seit dem 19. Juni so frei wie ein Vogel - vieles stand mir offen, viele Möglichkeiten habe ich genutzt, aber auch entspannt, abgeschaltet und den Dingen ihren Lauf gelassen. 
Diese kurze Zeit erscheint mir so lange, weil so viel sich verändert hat. Und wenn ich mich umwende und noch einmal kurz zurückblicke, dann spüre ich die Sehnsucht, mich wieder niederzulassen, ein neues, mein eigenes, Nest zu bauen (um in der Vogel-Metapher zu bleiben). Ich denke, jeder wünscht sich von Zeit zu Zeit Beständigkeit. Es gibt eine Zeit der Freiheit, der Spontanität und Aufregung - aber es muss auch eine Zeit des Ankommens und der Ruhe geben.

Seit meiner Ankunft in Südamerika habe ich Wunderbares erlebt, erstaunlich viele Seiten meines Tagebuches sind schon voll und ich komme mit den Berichten nicht hinterher! Aber das, was ich erlebt habe, könnte jeder abenteuerlustige Tourist auch erlebt haben - Sightseeing mit etlichen Fotoaufnahmen, orientierungslos eine Stadtkarte in der Hand haltend, bevor man den Weg von englisch sprechenden Bolivianern erklärt bekommt. Ich bin froh, das alles so erlebt zu haben!
Doch nicht nur mein Wecker, der noch auf deutscher Zeit eingestellt ist, zeigt mir, dass ich noch nicht vollkommen angekommen bin. Ich will endlich meinen Koffer auspacken und in die Ecke stellen, mein eigenes Zimmer einrichten, meine Routine beginnen, mich in einer Stadt wie in meiner Heimatstadt auskennen! Und ich bin kurz davor:


Am Samstagabend bin ich von unserem Arrival Camp zurückgekommen. Wir waren für 3 Tage in den Yungas, einem Gebiet nordöstlich von La Paz, dort, wo die felsigen Wände plötzlich steil viele Meter in die Tiefe abfallen. Die Gegend bildet den Übergang von Andenhochland zum tropischen Regenwald des Amazonasgebietes. Auf der Fahrt über den La Cumbre-Pass auf etwa 4700m bis zum Ort Coroico auf 1750m durchquert man fast alle Klimazonen Südamerikas an einem Tag. Wir stoppten jedoch schon nach etwa 3,5 Stunden Fahrt mitten im Nirgendwo bei einer für Gäste hergerichteten, netten Villa mit Pool. 
Bei der Ankunft haben wir leider wegen der Dunkelheit die Landschaft noch nicht erkennen können - daher war aber auch die Hinfahrt wirklich sehr abenteuerlich! Die Straße, die zwar laut der ICYE-Mitarbeiter deutlich sicherer als die berühmte "Calle de la muerte" (Todesstraße) sein soll, schien dieser jedoch verdächtig ähnlich. "Aber es gibt doch eine Gegenfahrbahn!" - manchmal. Nicht nur einmal musste sich unser Busfahrer gekonnt an einem entgegenkommenden Kleinbus oder LKW vorbeiquetschen... 

Der Ausblick aus meinem Bett beim Aufwachen machte die vermeintlichen Strapazen der vergangenen Nacht augenblicklich wieder wett:




Der Essens- und Aufenthaltsraum
Wir wurden während unseres Aufenthaltes von einer bolivianischen Familie mit 2 kleinen, "ursüßen" Kindern bewirtet und bekocht - alle 2 Stunden legten wir eine Snackpause ein, um uns für die Einheiten zu stärken. Die 4 Männer vom ICYE - Yeyo, mein Gastpapa, war auch dabei - haben sich sehr viel Mühe bei der Gestaltung der kurzen Einheiten über  unsere bisherigen Erfahrungen, Erwartungen, Projekte und Städte gegeben. Oftmals war unsere Kreativität gefragt - besonders gut hat mir die Gestaltung von Mandalas mit buntem Salz bezüglich unserer Erwartungen gefallen.

Alles in allem war das Camp sehr entspannend, die Themen wurden auf den Punkt gebracht und wir hatten Zeit, um Spaß miteinander zu haben. Das Highlight stellte natürlich der Pool  dar, der von Tag zu Tag voller wurde und eine Erfrischung von dem angenehm warmen Wetter bot. 


Was mir noch gut gefallen hat?

- Der Länderabend: Wir bereiteten Präsentationen zu unseren Herkunftsländern vor, um sie danach der ganzen Gruppe vorzustellen. Ich habe das Gefühl, ich lerne hier nicht nur viel über Bolivien, sondern auch über Deutschland. Das ist ein eigenartiges, aber auch sehr  gutes Gefühl. Es gab außerdem einige kulinarische Spezialitäten (Mozartkugeln aus Österreich, Toblerone aus der Schweiz, Salmiak aus Finnland).

- Die "Dschungelwanderung" zum Fluss: Der kleine Spaziergang durch den Wald hat sich wirklich gelohnt - von den Bananenstauden am Wegesrand bis zu der Vielfalt an Schmetterlingen unten am Ufer. Nur der Rückweg bergauf war anstrengend.




















Worauf ich hätte verzichten können?
Eine Ameisenkolonie
- Die vielen toten (oder noch schlimmer: lebendigen) Insekten im gesamten Haus. Ob ein Kakerlaken-ähnlicher Käfer, der plötzlich in der Dusche herumkrabbelt oder ein von Faltern und Käfern bedeckter Bikini... 



Rauch- vs. Gewitterwolke

Was mir Spanisch vorkam?

- Ein Rodungsbrand, der seit unserer Ankunft auf dem gegenüberliegenden Berg für über 48 Stunden brannte. Warum der Wald hier vernichtet wird? Um nach der Regenzeit dort neue Felder zur Verfügung zu haben, vielleicht. Ganz genau wusste es keiner.






- Die gräuliche, stumpfe Farbe des Flusses - Ursache dafür sind Arbeiten, bei denen neues Material für einen Straßenbau abgebaut wird. Das hat leider ein bisschen die Idylle gestört...



Last but not least
Ich möchte nicht vergessen, von unserem Willkommensritual zu berichten: unsere 4 Teamer führten am letzten Abend ein Aymara-Ritual zu Ehren der Mutter Natur - Pachamama - durch. Sie weihten uns mit bolivianischem Alkohol für unser Jahr hier in Bolivien. Es soll uns Glück bringen und unsere Entwicklung positiv verstärken. Anschließend tanzten wir zu bolivianischer und internationaler Musik bis spät in die Nacht.


Am Samstag sind wir frühnachmittags zurück nach La Paz aufgebrochen - um dieses Mal die abenteuerliche Straße bei Tageslicht zu sehen. Der Ausblick ist wirklich einmalig! Ich muss zugeben, dass mir manchmal ein bisschen das Herz pochte, wenn bei dem Blick aus dem Fenster unter mir kein Weg, sondern nur ein steiler, mehr oder weniger bewachsener Hang zu sehen war! Dieses Mal konnte ich auch Fotos aufnehmen:


Zurück auf der asphaltierten Straße, kurz vor El Alto

Zurück in meiner Gastfamilie gab es alle Hände voll zu tun, denn mein Gastbruder feierte am diesem Abend seinen 12. Geburtstag mit der ganzen Familie! Die Party wurde vorgezogen, denn eigentlich hat er am Sonntag Geburtstag - allerdings war dies der Tag des Referendums (oder Referendi?).  Wegen dieses Ereignisses sind an diesem Sonntag keine Verkehrsmittel erlaubt, sodass nicht alle hätten kommen können.
Patty bereitete ihre weltberühmten Tacos vor und ich kann euch versichern: so unglaublich gute Tacos habe ich glaube ich noch nie gegessen! Es war eine schöne Atmosphäre, die ganze Familie war versammelt und ich konnte meine Spanischkenntnisse mal wieder erweitern. Nach den Tacos durfte Leandro die 12 Kerzen auf seiner Schokoladentorte auspusten, während alle anderen Geburtstagslieder sangen - genauso wie in Deutschland. Was mich gewundert hat, ist, dass er die Torte nicht ins Gesicht gedrückt bekam, was wohl auch ein Brauch hier in Bolivien ist (Ich habe es bei einer anderen Freiwilligen - Rahel - miterlebt!).

Am Sonntag durfte ich Yeyo und seine Geschwister zur Wahl begleiten - das war sehr interessant, nicht nur, weil in Bolivien jeder zur Wahl gehen MUSS (ansonsten muss man eine Strafe zahlen und erhält keine Karte mit einer wichtigen Transaktionsnummer; und  könnte also keine Bankgeschäfte durchführen). Worum genau es bei der Wahl ging, wussten die meisten selbst nicht ganz genau. Allgemein wurde gesagt, dass abgestimmt wird, ob die Regierung von La Paz autonom werden soll, da sie nicht mit den Regierungsparteien anderer Departamentos übereinstimmt. Damit einher sollen über 150 neue Artikel und Gesetze gehen, über die die Wähler aber in keiner Weise informiert wurden.
Im Grunde geht es also um eine Vertrauensfrage gegenüber der Regierung - mag man sie, stimmt man für SI, mag man sie nicht, mit NO.
Evo Morales ist hier sehr umstritten. In den Medien in Europa wird er oftmals als der beliebteste Präsident, den Bolivien je hatte, dargestellt. Allerdings halten manche Zeitungen auch La Paz für die Hauptstadt Boliviens (siehe FAZ - wer weiß es besser?). 
Politisch gesehen befindet sich Bolivien in einer spannenden und angespannten Situation. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis des Referendums und die folgenden Entwicklungen, über die ich bestimmt berichten werde! 


Heute, Montag (übrigens der Frühlingsanfang, der Tag der Liebe, der Freundschaft, der Schüler und der Ärzte!), bin ich ein letztes Mal zur Sprachschule gegangen. Danach durfte ich mein Visum in Händen halten und jetzt ist alles bereit für meine Weiterreise nach Sucre!
Das nächste Mal hört ihr also von mir aus meiner zukünftigen Stadt, wenn ich meine Gastfamilie dort kennen gelernt und vielleicht auch schon mein Projekt "CERPI" besucht habe. 

Gracias La Paz, especialmente gracias a mi familia encantadora! I am going to miss you!

Bis zum nächsten Mal und zum (vorerst) letzten Mal liebe Grüße aus La Paz
sendet Euch Sophie

Sonntag, 13. September 2015

Mein Alltag in La Paz


Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?
Ich bringe heute Licht ins Dunkle!

Ich wohne für etwa 3 Wochen bei meiner Gastfamilie im Süden von La Paz, in Achumani. Sie besteht aus Yeyo, meinem Gastvater, Patty, meiner Gastmama, und meinen beiden Gastgeschwistern Andre und Leandro. Morgens frühstücken wir gegen 7:15, dann werden die Jungs in die Schule gebracht. Ich mache mich gegen 8 auf den Weg zur Hauptstraße, wo ich mich mit anderen Freiwilligen treffe, damit wir gemeinsam mit dem Minibus in die Stadt fahren. Da wir genau zur Rushhour unterwegs sind, müssen wir Glück haben, schnell den richtigen Bus zu finden, und die Fahrt in die Innenstadt zum Plaza Avaroa dauert bis zu 40 Minuten.





Meine Aussicht, wenn ich morgens auf den Bus warte.



Von dort ist die Sprachschule nur wenige Meter entfernt. Meistens treffen wir um Punkt 9 ein (oder etwas später...) und dann beginnt auch sofort der Unterricht bei meiner Lehrerin Maritza. Ich bin im A2-Kurs mit 3 anderen Mädchen und wir lernen so ziemlich viel, auch, wenn es manchmal Verständigungsprobleme gibt. Leider haben wir in den 3,5 Stunden Unterricht nur eine 10 Minuten Pause und das ist wirklich wenig. Wie schön war es doch in der Schule!

La Escuela 



Um 12:30 ist der anstrengende Teil des Tages vorüber und ich treffe auf die anderen Freiwilligen. 

Option 1
Teil 1: Wir unternehmen anschließend etwas, zum Beispiel ein kleines Salteñaessen in dem kleinen Restaurant gegenüber. Hier gibt es sogar Salteñas vegetarianas!


Teil 2: Wir erkunden die Stadt und kaufen zum Beispiel auf dem Hexenmarkt ein:

Meine 3 kleinen tierischen Freunde

Teil 3: Wir verlaufen uns auf der Suche nach einem bestimmten Café und landen stattdessen in San Pedro (muy tranquillo):




Teil 4: Endlich am Ziel angekommen, belohnen wir uns mit (deutschem) Kuchen (queque) oder Torten (tartas):

Sacher-Torte in der "Kuchenstube"

 Teil 5: Hannah und ich fahren mit dem Minibus nach Hause. Hier seht ihr eine seltene Aufnahme eines fast leeren Minibuses:




Option 2
Ich fahre direkt nach dem Unterricht nach Hause, um mit meiner Familie gegen 14 Uhr Mittag zu essen. Unter der Woche kocht Vici für uns tolle bolivianische Gerichte. Zuerst gibt es immer eine Suppe und anschließend das Hauptgericht (Reis/Kartoffeln/Nudeln und Fleisch). Es schmeckt immer sehr lecker, ich bin es nur nicht gewöhnt, so viel auf einmal zu essen. Wenn man fertig ist und aufstehen möchte, sagt man "Provecho!" - ich würde es ungefähr mit dem deutschen "Mahlzeit!" übersetzen. Man bedankt sich damit aber auch gleichzeitig bei der Köchin.

Auch, wenn ich erst spätnachmittags nach Hause komme, muss ich tatsächlich Hausaufgaben machen und spanische Vokabeln lernen. Um 18 Uhr ist Tea-Time und wir sitzen wieder zusammen, trinken Tee und essen Kuchen oder Kekse. Am Anfang dachte ich, das sei das Abendessen - aber nein!
Gegen 20:30 gibt es noch eine warme Mahlzeit, zum Beispiel Reste vom Mittagessen oder Quesadillas oder Kartoffeln oder oder oder...
Ich werde hier auf jeden Fall satt!

Das schöne ist, dass die gemeinsamen Essenszeiten immer wunderbare, lustige, aber auch ernste Gespräche hervorbringen. Das gefällt mir richtig gut!
Und es ist gleich, ob jemand gerade noch Hausaufgaben oder etwas anderes zu tun hat, alle kommen zusammen und unterhalten sich eine Weile :-)

Alles in allem geht es mir hier sehr gut und ich mag meine Gastfamilie sehr gern. Deswegen sehe ich dem baldigen Abschied in etwa einer Woche mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Zuvor bin ich allerdings mit dem ICYE Bolivia in den Yungas auf unserem Arrival Camp. Es findet von Mittwoch bis Samstag statt und ich werde dort kein Internet haben (wundert euch also nicht, wenn ich mich in dieser Zeit nicht melde).

Eigentlich wollte ich heute über mein letztes Wochenende berichten - allerdings hat mir mein Internet und Blogger einen Strich durch die Rechnung gemacht... Ich werde den Post also noch einmal schreiben, denn an den Erlebnissen möchte ich euch gerne teilhaben lassen!

Ich wünsche Euch einen guten Start in die neue Woche!
Que tengas una buena semana!

Liebste Grüße aus La Paz
von eurer Sophie

Freitag, 4. September 2015

LA PAZ

Ich bin angekommen! 

Und das ist im Moment für mich selbst wirklich schwer zu begreifen. Ich versuche das mal anhand der letzten 2/3 Tage zu beschreiben:
Nach einem wirklich traurigen, aber auch schönen Abschied von meiner Familie am Frankfurter Flughafen flog ich zunächst alleine nach London Heathrow. Das Gefühlschaos beherrschte mich. Und das wurde auch dadurch nicht besser, dass mein Flug 50 Minuten Verspätung hatte. Der Sicherheitscheck hat ewig gedauert, sodass ich selbst sogar erst 10 Minuten vor geplantem Flugstart im Flugzeug ankam. Dann endlich auf meinem Platz fragte ich mich zum ersten Mal ernsthaft, warum ich überhaupt 1 ganzes Jahr in Bolivien verbringen möchte (und das noch auf deutschem Boden...). 
Zum Glück ging es ab diesem Zeitpunkt nur noch aufwärts - in London traf ich andere deutsche Freiwillige, nachdem ich wieder längere Zeit am Sicherheitscheck verbracht hatte. Mein ganzer Handgepäckkoffer wurde ausgepackt, um etwas Verdächtiges zu finden (was nicht der Fall war!).
Der Flug nach Miami war trotz 10 Stunden Flugzeit der schönste, den ich vermutlich je erlebt habe. Es war unglaublich leer, sodass jeder Passagier mindestens 3 Plätze für sich beanspruchen konnte. Mein erster Langstreckenflug ist also geschafft :-) 


Anschließend erlebten wir die langwierige Einreise in Miami (meine Finger sind zu klein für den Fingerabdruckautomaten...), denn wir mussten unser Gepäck abholen und hinter der nächsten Ecke wieder aufgeben, bevor es wieder durch den (vermutlich) sichersten Sicherheitscheck ging - und ich mein Mückenspray abgeben musste. Sicherheitsbeamte sind nicht unbedingt meine Freunde... 
Nach 3 Stunden Wartezeit startete der vollgepackte Flieger nach La Paz (Ortszeit 12 Uhr nachts, in Deutschland bereits 6 Uhr morgens). Leider war ich sehr verwöhnt vom vorherigen komfortablen Flug und wachte jede halbe Stunde auf. Ich konnte es nicht erwarten an zu kommen!

Das war nun vermutlich der langweiligste und anstrengendste Teil meiner bisherigen Reise, doch auch das gehört dazu - die Reise hierher ist kein Spaziergang.




6:30 Die Sonne geht auf, während wir landen - ein wunderschönes Bild!

Das 1. Foto auf bolivianischem Boden :-)
8:00
Wir werden von Julian, einem ICYE Bolivia-Mitarbeiter, abgeholt und treffen andere Freiwillige aus Österreich und Finnland. Das Gepäck von über 10 Freiwilligen wird auf dem Dach des Mini-Buses verstaut, mit dem wir fahren. Die Luft ist kalt, aber klar, und wir genießen die Sonnenstrahlen - und versuchen, etwaige Symptome der Höhenkrankheit an uns auszumachen (glücklicherweise ohne großen Erfolg).
Unser Gepäck auf dem Dach...


















8:30

Der Ausblick über La Paz von El Alto lässt uns alle staunen. Es ist atemberaubend, riesig und von einer wunderschönen Berglandschaft umgeben. Ich kann es gar nicht fassen, denn der Blick aus dem kleinen Fenster erscheint so unwirklich - lediglich die kalte Luft, der Gestank, das ständige Hupen und das Ruckeln des Busses erinnern daran, dass ich tatsächlich angekommen bin - Bienvenido en La Paz!


Wir fahren über eine Stunde durch die Stadt, um alle Freiwilligen in Gastfamilien oder WGs unterzubringen. Am Ende der Fahrt fallen mir immer wieder die Augen zu, dabei gibt es so viel zu sehen: Bolivianer im Anzug, Bolivianerinnen in Tracht, Straßenhunde, Hochhäuser, Ruinen und Baustellen, eine riesige Brücke, mitten in der Stadt ein riesiger Fels, in der Ferne schneebedeckte Berge.


Der 1. Blick über La Paz!
10:30
Ich komme in meiner Gastfamilie an. Sergio - mein Gastvater - arbeitet selbst manchmal bei ICYE und war selbst als junger Mann 1 Jahr in Dänemark. Das bedeutet, er spricht Englisch! (Juhu!) Jetzt lebt er mit seinen beiden Söhnen (12 und 14) und seiner Exfrau hier in Achumani. Er ist sehr sympathisch und wir unterhalten uns gut bei meinem ersten Coca-Tee (wer Matcha kennt, es schmeckt ähnlich!). Der Tee hält mich wach und ich versuche standhaft nicht einzuschlafen, als ich mich kurz in meinem Zimmer ausruhe. Um 1 haben die Kinder hier Schule aus und ich darf mitkommen, um sie abzuholen. Sie sind sehr nett und ich darf mit ihnen vor dem Mittagessen fernsehen. Die Serie ist auf Englisch mit spanischem Untertitel (mein Gehirn ist etwas überfordert).
Zum Mittagessen gibt es hier immer zuerst eine Suppe und anschließend die Hauptspeise - heute kocht die Köchin Vici für uns: traditionelle Gemüsesuppe mit Quinoa und anschließend "Falso conejo" ("Falscher Hase" = Nudeln mit (nicht Hasen-)Fleisch). Ich kann leider nicht so viel essen, aber das ist am Anfang normal. 
Am Nachmittag ruhe ich mich aus, melde mich bei meiner Familie und schreibe die ersten Erlebnisse nieder. Ich sitze im Garten vor dem Haus in der Sonne, die herrlich warm ist, obwohl hier Winter ist. Sobald sie aber hinter einem Haus verschwindet, ist es sofort spürbar kühler. Auch an das Klima muss ich mich noch gewöhnen! 

Abends spielen Sergio, die Jungs und ich Bingo und Uno. Bingo ist super, um die Zahlen zu wiederholen, und bei Uno lerne ich die Farben :-)

Mein Gastvater hört übrigens sehr gerne Musik und auch die Kinder singen mit - mir gefällt das sehr gut! So sitze ich auch jetzt hier im Vorraum zu unseren Zimmern und lausche der entspannenden spanischen und englischen Musik...

2. Tag in La Paz
Mein Gastvater begleitet mich bei meiner ersten Radio-Taxi-Fahrt zur Polizeistation. Dort müssen wir unser Visum beantragen - das bedeutet: Fotos für den Pass machen, Fingerabdrücke geben und Infos bestätigen. Trotzdem dauert das für alle 17 Freiwilligen ganze 4 Stunden...

Anschließend gehen wir in einem Restaurant, das in der Nähe der Sprachschule ist, Pizza essen. Am Anfang ist es wichtig, dass wir nichts von der Straße essen (außer trockenen Brötchen), obwohl an jeder Ecke kleine Stände stehen, die leckeres traditionelles Essen anbieten. Nach einem kurzen Einstufungsinterview für den Spanisch-Sprachkurs fahre ich nach Hause nach Achumani - mit dem Mini-Bus. Das ist ein wahres Abenteuer (zumindest beim ersten Mal): man stellt sich an den Straßenrand und hält nach dem richtigen Bus Ausschau. Die Richtung - zum Beispiel "Achumani Complejo" - steht auf dem Kleinbus, sodass man kurz winkt und schnell einsteigt. In einen Bus passen etwa 14 Personen und oftmals sind sie bis auf den letzten Platz belegt. Möchte man aussteigen, ruft man dem Fahrer z. B. "Voy a bajar, por favor" ("Ich möchte aussteigen, bitte") zu. Dann reicht man ihm das Geld nach vorne und steigt schnell aus (es hupen nämlich schon alle anderen). Eine Fahrt kostet zwischen 1,50Bs und 3Bs (das sind 25ct - 40ct) und damit kommt man durch die ganze Stadt!

Nach dem Abendessen habe ich begonnen, diesen Post zu schreiben, aber ich musste früh schlafen gehen, denn
am nächsten Morgen traf ich mich schon um 7:15 mit Jakob und Hannah, um mit dem Mini-Bus zum Krankenhaus zu fahren.

Salteña
Wir müssen für unser Visum ein Medical-Checkup machen lassen; das bedeutet zunächst auf den Papierkram warten, dann Blut- und Urintest, allgemeine Untersuchungen, sogar Röntgen, Zahnarzt und Angaben zur eigenen Familie. Jetzt fühle ich mich wirklich durchgecheckt! Glücklicherweise bin ich schon um 10 Uhr fertig, sodass ich etwas essen darf. Mittagessen gibt es dann für alle in einem kleinen Restaurant und wir bestellen Kleinigkeiten, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Ich probiere Salteñas (Teigtaschen mit einer Gemüse-/Fleischfüllung) - sie schmecken mir gut :)
La iglesia San Francesco
Nachdem wir unser Glück beim INTERPOL-Büro versucht haben ("Kommt am Montag wieder!"), beschließen wir, in der freien Zeit das Zentrum von La Paz zu erkunden. Wir beginnen unsere Erkundungstour bei der Iglesia San Francesco und gelangen danach durch kleine Gassen zum berühmt-berüchtigten "Hexenmarkt"!

Meine ersten Lamaföten:























Alle kleinen Geschäfte bieten Pullover, Handschuhe, Schals aus weicher Alpaca-Wolle an und wir staunen über die Farben. Ich kaufe mir eine kleine Tasche für etwa 10€ :)

So sehen die Läden auf dem Hexenmarkt aus

















Personen, die als Löwen oder auch als Zebras verkleidet sind, regeln öfter den Verkehr (das ist kein Witz!) und verbreiten gute Laune :-)

Natürlich dürfen wir als gute Touristen das Regierungsviertel nicht außer Acht lassen. Ob der Präsident in dieser Gegend wohnt? Die Tauben auf dem Plaza sind unzählbar und außerdem sehr zahm (sie sitzen manchen Personen auf dem Kopf oder auf der Schulter, wenn sie gefüttert werden...).


Das Parlament

Calla 25 - Mein Zuhause in La Paz
Wir fahren mit dem Mini-Bus zurück zum Plaza Avaroa, um unsere fleißigen Freunde vom Spanischkurs abzuholen und gegen 18:30 bin ich zu Hause. Dort lerne ich Sergios Bruder kennen und wir trinken zusammen Tee.











So. Das ist bis jetzt passiert. Am Wochenende haben wir frei und planen, kleine Ausflüge zu machen und die "Metro" von La Paz auszutesten - ihr könnt gespannt sein!




Ich habe euch erzählt, dass ich selbst schwer begreifen kann, dass ich tatsächlich hier in Bolivien, in La Paz, bin. Es ist jedes Mal wieder ergreifend, die monströsen Berge zu sehen, die wie eine Krone der Stadt erscheinen. Wenn ich mir abends die Fotos des Tages ansehe, kann ich oft nicht glauben, dass ich sie mit eigener Hand aufgenommen habe. Ich bin oft ziemlich orientierungslos und muss die Karte und die anderen Freiwilligen um Hilfe bitten. Morgens wache ich auf und muss erst realisieren, dass ich in einem bolivianischen Bett liege. 
Aber! Es wird jeden Tag besser! Als wir auf eigene Faust in La Paz unterwegs waren, schien vieles greifbarer. Ich fühle den Stoff der Alpaca-Wolle, frage nach Preisen oder muss über eine Straße rennen, um nicht überfahren zu werden. Ich bin mittendrin.
Und freue mich sehr auf die nächsten 14 Tage La Paz!

Habt ein schönes Wochenende! Hasta luego!
Eure Sophie