Heute vor ganz genau 6 Monaten habe ich zum 1. Mal bolivianischen Boden betreten.
Das bedeutet: die Hälfte meines Freiwilligendienstes ist vorbei! Ich weiß nicht, ob ich mich mehr darüber freue, dass die letzten 6 Monate so grandios verlaufen sind und wie viele schöne Erinnerungen ich schon gesammelt habe, oder doch eher darüber, dass mir noch 6 Monate bleiben, auf die ich schon sehr gespannt und voller Vorfreude bin.
Beides ein bisschen :-)
Für mein Förderprogramm IJFD und den ICJA habe ich anlässlich der Halbzeit einen Bericht geschrieben, in dem ich über mein Projekt, meine Familie und meine Erfahrungen in Südamerika reflektiere. Einen Teil davon möchte ich hier auf dem Blog veröffentlichen - und zwar den meiner Meinung nach spannendsten: über mein Projekt, meine Arbeit im CERPI.
Viel Spaß beim Lesen und liebste Grüße aus Sucre!
Mein Projekt: CERPI
Nun zu meinem Projekt (worüber ich nicht
viel mehr wusste, als dass ich mit Kindern arbeiten würde, da die Beschreibung
relativ unklar war): ich arbeite im CERPI (Centro de Recursos Pedagógicos
Integrales), einem Zentrum für Kinder von 4 bis 16 Jahren gelegen in der Nähe
des Mercado Campesino von Sucre. Das CERPI ist ein „Unterprojekt“ der Stiftung
I.P.T.K. und bietet ein großes Freizeitangebot für Kinder an. Für die Kurse,
zum Beispiel Hausaufgabenbetreuung im „Sala de tareas“, Kindergarten, Schach,
Tanzen, Musik, Malen, Sport und Computer, müssen die Eltern sie jeden Monat
gegen einen „Unkostenbeitrag“ zwischen 7€ und 15€ anmelden – das bedeutet
demnach, dass dadurch Kinder aus ärmeren Verhältnissen ausgeschlossen werden,
was ich sehr schade finde.
Meine ersten beiden Arbeitswochen arbeitete
ich zunächst nur im Sala de Tareas, zum einen weil die 4 anderen schon
anwesenden Freiwilligen ein Theaterstück mit der Escuela movil einstudierten,
zum anderen um die Sprache besser verstehen zu lernen. Anschließend teilten wir
uns auf, sodass immer 2 Freiwillige im Sala und 2-4 Freiwillige bei der Escuela
waren. Dieses System und die Zusammenarbeit mit den anderen hat mir den
Einstieg in das Projekt wirklich erleichtert.
Zu Beginn habe ich mir natürlich sehr viel
abgeschaut und oft nachfragen müssen, aber auch die Kinder, mit denen wir
arbeiten, sind neue Freiwillige gewohnt und geben gerne Auskunft oder
korrigieren das holprige Spanisch.
Der Sala de Tareas – Hausaufgabenraum –
gibt Kindern der 1. Schule (Primaria, 1.-6. Klasse, das heißt 6-12/13 Jahren)
die Möglichkeit, dort ihre Hausaufgaben für die Schule mit der Unterstützung
von 2 Profesoras und uns Freiwilligen zu erledigen. Das betrifft besonders die
Kinder, deren Eltern keine Zeit haben, auf sie aufzupassen, und/oder nicht
helfen können, wenn die Kinder Fragen haben. Einige Kinder stammen aber auch
aus Familien mit gravierenderen Problemen, sie sind zum Beispiel (Halb-)Waisen
oder ihre Eltern leben getrennt. Manchmal, wenn ich mit Kindern ins Gespräch
komme, vertrauen sie mir die Geschichte ihrer Familie an. Das genieße ich sehr
als Freiwillige, dass wir nicht der Verpflichtung unterliegen, bloß die
Hausaufgaben zu erledigen, sondern uns die Zeit nehmen können, mit den Kindern
über alltägliche Dinge, aber auch – wenn sie es möchten – über ihre Probleme zu
reden.
Ich mag die Arbeit
im Sala de Tareas, wo ich drei Mal die Woche arbeite. Die Kinder sprechen mich
mittlerweile von selbst an, wenn ich ihnen helfen soll, und ich muss mich nicht
mehr andauernd anbieten. Außerdem sind die Hausaufgaben selbst mit meinen
jetzigen Spanischkenntnissen meistens gut zu erklären – aber ich lerne auch
immer noch sehr viel dort (einigen Kindern gefällt es, mir regelmäßig neue,
ausgefallene Vokabeln beizubringen – und sie wollen im Gegenzug die deutsche
Übersetzung hören).
Die TOP 3 der
Hausaufgaben sind (meiner Erfahrung nach)
1.
„copiar“
– Schreibe das, was du lernen sollst, aus dem Buch ab. Schreibe das, was du
schon einmal geschrieben hast, in Schönschrift noch einmal ab. Schreibe die
Seite, auf der du einen Fehler gemacht hast, der nicht mit Radiergummi
korrigiert werden kann, noch einmal komplett ab.
2.
„mathematica“
– All das, was ich auch in der Grundschule gelernt habe: Schriftliches
Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren (darin bin ich
mittlerweile wieder richtig geübt); das kleine Einmaleins; Sachaufgaben. Aber
auch: Schreibe alle Zahlen von 1 bis 1000. Schreibe alle Zahlen von 1 bis 500
mit Namen (jeweils in Druckschrift und Schreibschrift). Schreibe jedes
Vielfache von 5 von 5 bis 5000 usw.
3.
„dibujar“
– Zeichne die Illustration dieser Geschichte, nachdem du sie abgeschrieben
hast, daneben. Zeichne eine Landkarte von Bolivien/eines der Departamentos.
Eher selten: Zeichne ein selbst erdachtes Bild zu einer Geschichte. Zeichne aus
dem Kopf und lass deiner Kreativität freien Lauf.
Wie ihr seht, gibt
es einige Unterschiede zwischen dem bolivianischen und dem hessischen
Schulsystem – ich stehe dem Ganzen (besonders dem stupiden Kopieren und
Schreiben einer scheinbar unendlichen Zahlenfolge) etwas kritisch gegenüber.
Bei diesen Aufgaben kann ich auch schlecht helfen. Am liebsten helfe ich wohl
bei Matheaufgaben – obwohl ich das auch nicht verallgemeinern möchte. Denn wenn
ein zwölfjähriges Kind noch immer Additionen im Zahlenbereich von 1-20 an
seinen Händen abzählen muss, kann das schon deprimierend sein... Da wünsche ich
mir nicht selten, ich hätte eine pädagogische Ausbildung oder zumindest eine
bessere Strategie, um die Kinder mit der Welt der Zahlen zu befreunden!
Bei vielen Kindern
kann ich aber jetzt schon Fortschritte sehen und manche sind sogar richtig gut
in der Schule (es ist also gar nicht so anders wie in Deutschland) - da macht es umso mehr Spaß zu helfen.
Was mir noch aufgefallen
ist: in der Schule wird viel über Bolivien selbst und über die Helden der
Geschichte gelehrt. Und ich habe schon etliche Male geholfen, die
Nationalflagge abzuzeichnen.
Auch wenn die
Kreativität der Schüler beim Zeichnen meist nicht sonderlich gefordert ist, ist
diese bei handwerklichen Aufgaben sehr gefragt – nicht selten wird gebastelt,
eine Tischdecke bemalt, ein Modell gebaut, ein Spiegel verschönert, ein Bild
gestickt. Das gefällt mir richtig gut und ich finde es echt schade, dass ich
das in meiner Schulzeit nicht so erleben durfte.
Escuela
movil
Die Arbeit mit der „Escuela movil“ gefällt
mir dagegen noch besser: ein Minibus mit einem speziell konstruierten
„Tafelkasten“, mit dem die beiden bolivianischen Verantwortlichen (Gladys als
Profesora und Vladi als unser Fahrer) und wir Freiwilligen vormittags und
nachmittags je an verschiedene Orte in der Stadt und Dörfern der Umgebung
fahren, um die dort lebenden Kinder zu besuchen, mit ihnen Hausaufgaben zu
machen, zu lernen und zu spielen – am besten alles gleichzeitig. Das tolle ist,
dass immer alle willkommen sind und
mitmachen dürfen, ganz gleich ob es sich um Kleinkinder oder doch schon
17-jährige Jungs handelt; die eigentliche Zielgruppe sind Kinder von 6 bis 14
Jahren. Außerdem kostet die Teilnahme nichts, was wirklich wichtig ist, denn
sonst würden bei weitem nicht so viele Kinder teilnehmen (an manchen Tagen
kommen auf den Dorfsportplätzen 50-60 Kinder zusammen). Ich war also sehr sehr
froh, die Escuela movil das Herzstück meiner Freiwilligenarbeit nennen zu
dürfen.
Die Escuelita movil bei Sonnenuntergang |
Gladys und meine Mitfreiwilligen (v.l.n.r. Cathy aus Frankreich, Maria aus Österreich, Franzi und Laura aus Deutschland, Christian aus Liechtenstein; davor Gladys aus Sucre mit mir) |
Die Highlights meiner ersten zwei
Arbeitsmonate stellen auf jeden Fall die Talleres (Workshops) über Kinderrechte
mit der Escuela movil und die CERPI-GALA, ein Präsentationsabend aller Kurse
zum Schuljahresabschluss, dar.
Basteln für Kinderrechte... |
Kurz vor der Abfahrt zur Feria educativa |
Sonnenuntergang in Llinfi |
...in Lajastambo |
Aufmerksame Kinder beim Taller in Alegria |
Fertig aufgebaute Bühne für die CERPI-GALA im November |
Stolze Voluntarias mit unseren CERPITO-Kindern |
CERPITO
Bis zum Ende des Schuljahres, das hier im
November ist, habe ich zusätzlich zweimal wöchentlich mit einer anderen
Freiwilligen in einem „CERPITO“ gearbeitet. Das ist eine Miniausgabe des CERPI
(Hausaufgabenhilfe für etwa 25 Kinder) etwas weiter außerhalb und wir haben uns
jede Woche eine kleine Aktivität (Origami, Gebrauch des Internets...)
ausgedacht, um den Kindern dort den Alltag abwechslungsreicher zu gestalten. Wir haben zum Beispiel auch mal einen kleinen Ausflug in ein Museum gemacht. Auch
eine sehr schöne Erfahrung!
Im Micro zum Museum... |
Meine Anfangszeit im Projekt habe ich wegen
dieser Vielseitigkeit und auch großen persönlichen Fortschritten in sehr
positiver Erinnerung.
Clases
de Inglés
Ein bisschen Geographie: |
Ab Dezember fuhren wir nicht mehr mit der
Escuela raus, das CERPITO schloss, im Sala de Tareas mussten keine Hausaufgaben
mehr gemacht werden und so suchten wir Freiwilligen uns eine neue Aufgabe für
die 2-monatigen Sommerferien: Englischunterricht, da der schulische an den
hiesigen Schulen etwas mager ausfällt. Da ich im Dezember noch eine längere
Reise unternahm, übernahm ich mit einer anderen Freiwilligen den täglichen
Unterricht im Januar. 4 Wochen lang jeden Tag 4 Stunden Unterricht für 4 sehr
unterschiedliche Gruppen (nicht nur hinsichtlich Anzahl, Alter und
Schreibgeschwindigkeit der Schüler) zu geben, stellte für mich eine große
Herausforderung dar – zumal ich nur aus meinen eigenen Erfahrungen aus
Schülersicht Ideen und „Unterrichtsmethoden“ übernehmen und keinerlei
pädagogische Ausbildung vorweisen konnte. Aber, das kann ich mit Zufriedenheit
behaupten, ich habe mich darauf eingelassen, mein bestes gegeben und den Kurs
mit einem guten Gefühl und vielen nützlichen Erfahrungen beendet: Ich habe
gelernt, selbstbewusster vor einer Gruppe zu sprechen, Aufgaben und Spiele
anzuleiten und auch mal konsequent für Ruhe zu sorgen, wenn es nötig war. Weiterhin
war die Teilnahme an unserem Englischkurs so gut, dass wir, da wir als
Freiwillige natürlich ohne Bezahlung arbeiteten, uns als gute „Geldbringer“ für
das CERPI erwiesen... denn wie nicht wenige andere ist auch das I.P.T.K. auf
Spenden aus Europa angewiesen, um Projekte wie das CERPI und die Escuela movil
aufrecht erhalten zu können.
Wie sehr die Abhängigkeit doch besteht,
wurde mir klar, als uns im Dezember schon eröffnet wurde, dass wegen des
Ausbleibens einiger Spenden die Finanzierung der Escuela für das neue Schuljahr
nicht möglich sei. Die beiden Mitarbeiter wurden entlassen, es hieß, sofern
genügend Geld (um die 20.000€) vorhanden sei, würden sie wieder angestellt und
die Arbeit wieder aufgenommen werden. Das war für uns alle eine schockierende
Nachricht – und vor allem stellte sich bei uns Freiwilligen die Frage: „Was
können wir tun? Ist es sinnvoll, von Bolivien aus eine Spendenaktion in unseren
Ländern zu starten? Was, wenn es im kommenden Jahr wieder kein Geld gibt?“
Um es kurz zu fassen: wir fragten uns, was
unsere Rolle eigentlich ist.
Auf dem Vorbereitungsseminar habe ich
gelernt, dass wir als Freiwillige nicht in ein anderes Land gehen, um durch
Geldspenden zu helfen, sondern wegen der sozialen Arbeit. Das Projekt selbst
muss mit eventuellen Geldproblemen umgehen und eine eigene Lösung finden. Und
ja, auch wenn ich mir das sehr zu Herzen nehme, weil ich es für richtig
empfinde, war es wirklich schwer zu akzeptieren, dass die Escuela plötzlich
nicht mehr existieren sollte. Bis jetzt, nachdem schon der 1. Monat des neuen
Schuljahres vorbei ist, sind wir nicht mehr mit der Escuela unterwegs gewesen.
Aber es gibt wohl Hoffnung auf einen
Wiederbeginn, denn ehemalige Freiwillige des CERPI haben ihre Kontakte in
Europa genutzt, um den Großteil des Geldes durch Spenden zu sammeln. Das alles
wissen wir aber nur von den Exfreiwilligen selbst, denn das I.P.T.K. hält sich
mit Informationen für uns zurück. Das ist sehr schade, denn schließlich ist die
Escuela ein Großteil unserer Arbeit gewesen und wir sind schlicht zu viele
Freiwillige für das CERPI, wenn wir nur in der Hausaufgabenhilfe arbeiten und
ab und zu 3-4 Kindern Englischunterricht geben; das CERPITO wurde übrigens
ebenfalls wegen Geldmangels noch nicht wieder geöffnet.
Meine Unterstützung im Sala de Tareas
erscheint mir selbst viel hilfreicher als noch im November, weil ich zum einen
deutlich besseres Spanisch spreche und zum anderen weiß, wie ich wem helfen
kann. Diese Eigeninitiative ergreifen zu können hat mir viel Selbstbewusstsein
gegeben und macht unglaublich viel Spaß.
Zurück zu der Frage, was meine Rolle im
Projekt sei – das hat mich wirklich eine Zeit lang beschäftigt. Als Freiwillige
bin ich sehr flexibel einsetzbar und habe gleichzeitig viele Freiheiten, da
meine Arbeit keinem Vertrag unterliegt; das weiß ich sehr zu schätzen und
genieße diese besondere Stellung. Ich glaube, meine Rolle ist das, was ich
daraus mache. Am Ende dieses Jahres würde ich gerne sagen können, dass ich den
Kindern „Profe“, Spielkameradin und Freundin mit offenen Ohren, Augen und
Händen gewesen bin.
Mein größter Wunsch für die nächsten 6
Monate ist natürlich die Weiterarbeit mit der Escuela movil – besonders die
Talleres über Kinderrechte liegen mir am Herzen. Es wäre schade, wenn dieses
tolle Projekt klammheimlich im Sand verlaufen würde, und es lohnt, sich für
all’ die Kinder einzusetzen, die noch immer jede Woche auf unser Kommen hoffen.
Bis zum nächsten Mal! |
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